Oder ist eine Kastanie stachelig oder weich? Ist Achtsamkeit nicht eher Aufmerksamkeit? Schliesst man die Tür »Achtsam« oder eher Aufmerksam? Hat Achtsamkeit mit Mut zu tun oder ist das etwas für spirituelle Weicheier? Oder für weichgespülte Sentimentalitätsrunden für Leute die nicht richtig mit selbst klar kommen und Psychodings brauchen?
Über Achtsamkeit zu sprechen und ganz mächtig »achtsam« zu sein solange alles recht nett ist, oder man mit dem Finger auf den oder die andere zeigen kann, ist angenehm. Nur was ist wenn es mich selbst betrifft und genau dann wenn es nicht schön, angenehm, entspannt und »alles gut« ist? So ungemütlich es klingen mag: erst jetzt geht es wirklich los. Hier beginnt »Achtsamkeit«.
Die Autorin und Meditationslehrerin Tara Brach spricht von »radikaler Akzeptanz«. Auch wenn es noch so schmerzt, unangenehm ist, brennt, die Flammen um einen lodern, alles blöd, dämlich oder sinnlos erscheint, genau dann ist es gut genau hinzuschauen, dabei zu sein um das Leben und sich zu beobachten. Was denke ich? Was spüre ich? Was bilde ich mir da gerade ein? Auf welchem hohen Richterstuhl sitze ich da gerade? Welches hohes Roß reite ich. Vor welcher Tür kehre ich hier nun wirklich? Spreche ich von mir oder erdenke ich mir eine Story um den anderen zu manipulieren, bloß zu stellen, meine Angst zu verbergen, mich in hinter meiner Unsicherheit zu verstecken, toll zu er-scheinen?
»In dem Augenblick, in dem man einer Sache seine volle Aufmerksamkeit schenkt – und sei es nur ein Grashalm – wird sie zu einer einzigen wunderbaren und großartigen Welt.«
Henry Miller ...
Kürzlich telefonierte ich mit einem guten Freund. Ein wunderbarer, reflektierter Mann der derzeit am Manuskript seines ersten Buches schreibt. Er berichtete mir, dass er auf einem Stück vereister Straße mit dem Fahrrad gestürzt sei und sich ein Schultergelenk ausgekugelt habe. »Ich war da nicht richtig achtsam.« so mein Freund.
Ich, ein wenig verwundert und irritiert: »Meinst du wirklich achtsam?« so meine vorsichtige Rückfrage. »Meinst du nicht vielleicht, dass du etwas unaufmerksam warst oder dir ganz einfach etwas passiert ist? Ist es nicht eher so, dass es wichtig ist, wie du das was passiert ist und dich wahrnimmst und bewertest?«
»Ja, ich glaube so wird ein Schuh draus.« antwortete mein Freund »… das ist dann wohl das, was mit Achtsamkeit gemeint ist.«
Kann nun eine Tür »achtsam« geschlossen werden? Oder ist die Tür wohl eher »aufmerksam«, »rücksichtsvoll« oder »leise« zu schließen? Je nach dem aus welchem Blickwinkel das schliessen einer Tür zu betrachten ist wird die Antwort ausfallen. Aus der täglichen Lebenspraxis heraus wird die Tür leise, aufmerksam und rücksichtsvoll zu schließen ein. Damit beispielsweise das schlafende Kleinkind im Zimmer nicht gestört wird.
Aus einer anderen Intention heraus kann ich aus genau diesem »Schliessen der Tür« eine Übung des Innhaltens, des mich beobachtens, des nicht bewertens, des alles annehmens kreieren. Es kann sein, dass sich die Zimmertür schwer schliessen lässt oder das es mir oft passierte, dass ich vergass die Tür leise zu schliessen. Damit bin ich einem Zustand der aufmerksamen Beobachtung meiner Aufmerksamkeit – während ich die Tür schließe. Das ist dann ein achtsamer Moment, vielleicht eine Übung, vielleicht sogar tägliche Übungspraxis?
Der Psychologe an der Baseler Uni-Klinik Paul Grossman beschreibt das in einem Interview der Baseler Volkszeitung:
»Die gängige Definition von Achtsamkeit lautet so: ein Gewahrsein der momentanen Erfahrung, ohne das Wahrgenommene zu beurteilen. Eine bedingungslose Zuwendung zu jeder möglichen, auch unangenehmen Erfahrung. Sie können Ihren Atem verfolgen, die Geräuschkulisse um sich herum, Musik, Ihre Körperempfindungen, Ihre Emotionen, Ihre Gedanken, alles. Was Sie beobachten, ist ganz egal. Achtsamkeit bedeutet eine offene, zugewandte Einstellung, so gut es geht, ohne den Gegenstand Ihrer Wahrnehmung gleich zu bewerten. Das ist das Schwierige und gleichzeitig Heilsame daran.«
In jedem Fitnessclub, in jeder Yogaschule kann man inzwischen ein Achtsamkeits-Training buchen. Was hilft es?
»Achtsamkeit ist mehr als eine Entspannungstechnik, um dem Stress und der Hektik des Alltags zu entfliehen … sie ist eine innere Haltung zur Welt und zum eigenen Ich, wie es sich in dieser Welt verhält. Da stecken Mitgefühl, Freundlichkeit, Toleranz und sogar Mut dahinter.«
Mut?
»Ja, auch Mut. Es ist nicht einfach, sich die unangenehmen Dinge, die einen bewegen, vorbehaltlos anzuschauen. Dazu braucht es Mut.«
»Achtsamkeit bedeutet eine offene, zugewandte Einstellung, so gut es geht, ohne den Gegenstand Ihrer Wahrnehmung gleich zu bewerten.«
Paul Grossman ...
Können Sie beschreiben, was da vor sich geht?
»Die Idee ist, dass man versucht, in Kontakt zu bleiben mit dem, was ist. Man schaut zum Beispiel die Atmung an und versucht in dieser Beobachtung zu bleiben. Und in null Komma nichts ist man weg davon. Die Kunst ist, zurückzukommen in diese Beobachtung. Nach ein paar Atemzügen driftet man schon wieder weg. Das kann, abhängig vom augenblicklichen geistigen Zustand, ziemlich häufig passieren, selbst jemandem, der das schon dreissig Jahre macht. Es ist nicht einfach, dabeizubleiben und die Dinge nicht zu beurteilen.«
Was üben wir damit?
»Zum Beispiel Geduld. Wenn man sich immer sagt, ich kann das nicht, so ein Mist, das wird mir nie gelingen, dann muss man das mit Gleichmut und Grosszügigkeit der eigenen Person gegenüber beschwichtigen. Das ist die Kultivierung von Geduld.«
Fragen zu weiteren Kontemplation über diesen Artikel: Ist die Kastanie spitz oder rund? Ist die Kastanie eine Frucht oder Zeugs was im Herbst auf dem Fußweg herumliegt? Ist die Kastanie ein Baum der irgendwo rumsteht oder ein Lebewesen welches unsere Erde und unser Ökosystem bereichert? Ist die Kastanie essbar oder Schmuck? Ist die Kastanie hart oder weich? Wieviel einzelne Blätter hat ein großes Kastanienblatt?