»Es kommt nicht auf das Endergebnis an, sondern auf den Weg dorthin.« Interview mit der Yoga-Lehrerin, Tänzerin und Choreografin Marita Matzk

Marita Matzk und Thomas Hönel, Hiddensee März 2018 Foto: Sebastian Lachnitt

Wie lebt und arbeitet eine Yoga-Lehrerin, Tänzerin und Choreografin? Was kann uns die charismatische Marita Matzk in Sachen Loslassen, tägliches Üben, Flow und »Rücken« mitgeben? Das Interview führte ich mit Marita auf Hiddensee wo Marita regelmäßig Yoga-Retreats hält. Die Atmosphäre der Insel und das inspirierende Programm des Retreats finden sich thematisch in diesem umfangreichen Interview wieder.


Marita, wie bist Du zum Tanzen gekommen, was hat dich daran so fasziniert?

Ich habe einfach im Alter von fünf so lange in unserer Küche getanzt, bis meine Mutti mich zum Kindertanzen gebracht hat ;). Das war im Kinder- und Jugendtanzensemble der Stadt Quedlinburg, damals unter Leitung von Isolde Bamme. Interessanterweise hat sie als meine erste, prägende Tanzlehrerin, auch an der Palucca-Schule studiert, so wie ich später. Allerdings noch bei Gret Palucca selbst. Isolde Bamme war und ist eine wunderbare, starke Frau, die sich von keinem die Butter vom Brot nehmen ließ.

Außerdem erinnere ich mich an eine Fernsehsendung mit dem Fernsehballett, ich nehme an, das muss noch das der DDR gewesen sein, die ich unglaublich faszinierend fand. Da habe ich schon gesagt, dass ich sowas später mal machen will. Mein Onkel, der da grad zu Besuch war, fragte mich dann, ob ich also auch halbnackig im Fernsehen auftreten möchte. Das fand ich komisch, weil mir das »Halbnackige« gar nicht aufgefallen war ;).

Für mich war die Show damals (und lange Tanz im Allgemeinen) einfach ein Inbegriff von Schönheit. Ein Wert, der mir immer noch sehr wichtig ist – nicht im Hochglanz-Magazin-Sinn, sondern im Sinne von Ästhetik, dem Wahrnehmen von Details, und bei Bewegung im Sinne von Geschmeidigkeit und Anmut.


Wie arbeitet eine Choreographin?

Keine wie die andere. Will heißen, es gibt wie in jedem kreativ geprägten Prozess unendlich viele Herangehensweisen, jeder bringt immer seine Geschichte, seine Werte und Prägungen, seine Persönlichkeit mit. Wenn du wissen willst, wie ich als Choreografin gearbeitet habe: Viel über Improvisation! Und ganz oft »site-specific«, also im Dialog mit einem bestimmten Ort, der nicht unbedingt bühnentypisch ist. Z.B. habe ich eine Zeit lang mit Musikern in der Innenstadt von Dresden improvisiert und beobachtet, wie die Menschen wo reagieren. Entgegengesetzt zur Rollrichtung einer Rolltreppe zu tanzen, so dass man quasi auf der Stelle bleibt und sich durch den Strom der nach oben fahrenden Menschen bewegt, ist eine hochinteressante Erfahrung!

Was mich neben der Arbeit im öffentlichen Raum immer sehr fasziniert hat, war die Auseinandersetzung mit Live-Musikern. Besonders mit Sängern, weil die auch »pur« mit ihrem Körper arbeiten, genau wie Tänzer. Und wenn man an, auf, unter oder über einem Sänger tanzt, ihn hochhebt oder ihm den Buckel runterrutscht, verändert das auch wieder den Klang seiner Stimme… da haben wir unter der Initiative »Hörst du? Tanz…« mehrere tolle Abende kreiert.


Was war der entscheidende Punkt, dass du professionelle Yoga-Lehrerin geworden bist?

Ich hatte nach dem Choreografiestudium ein Künstlerstipendium bei einer Glashütter Uhrenfirma. Der Inhaber hat mich gefragt, »ob man lernen kann, sich so zu bewegen«? Und dann habe ich angefangen, ihm Einzelunterricht in Yoga und Körperarbeit zu geben – relativ erfolgreich ;).
Später folgten dann Yogakurse in der Gruppe, und ich habe die ersten eigenen Kurse in Dresden angeboten – erst ergänzend zur Tätigkeit als freiberufliche Choreografin, später habe ich ein größeres Yogastudio mit gegründet.
Damals praktizierte ich schon seit 8 Jahren halbwegs regelmäßig Yoga (entdeckt habe ich es bei Roger Livingstone in Wellington, auf einer Fahrradtour um Neuseeland, die ich nach dem Abi unternommen habe), und im Tanz- und Choreografiestudium habe ich alles aufgesaugt, was mit Körperarbeit, Anatomie, Psychologie und Pädagogik zu tun hatte. Dadurch fiel mir der Einstieg ins Unterrichten nicht so schwer.


 

Wie bist du zum Thema »Rücken« gekommen und welche Rolle spielt Feldenkrais?

Mit dreizehn, vierzehn, fünfzehn Jahren hatte ich eigentlich immer Rückenschmerzen. Auf den Stühlen in der Schule wusste ich nie, wie ich sitzen soll, ab mittags kamen dann Spannungskopfschmerzen dazu…
Lange habe ich diesen Zusammenhang nicht kapiert. Ich hätte auch nie gesagt »Ich habe solche Rückenverspannungen«. Bis ich im Bühnentanzstudium Feldenkrais-Methode Stunden belegte und auf einmal feststellte, wie viel breiter, weil entspannter, meine eine Körperhälfte nach der Hälfte der Stunde am Boden auflag und wie stark sich meine Aufrichtung veränderte – ohne dass ich mich „anstrengen“ musste.
Ich habe dann mit der Zeit alle von Feldenkrais in seinen Büchern beschriebenen Lektionen auch zuhause für mich erforscht und die hilfreichsten mit in meine Einzel-Coachings genommen.
Als ich anfing, Gruppenkurse zu unterrichten, habe ich mir angewöhnt, immer zu Beginn der Stunde zu fragen, was die Teilnehmer heute am meisten brauchen. Und rate mal, was das in 80% der Fälle ist: Verspannungen im unteren Rücken oder im Schulter-Nacken-Bereich! Ich fing also an, entsprechende Elemente aus der Feldenkrais Methode mit Yoga Elementen zu kombinieren, und habe über die Jahre eine eigene Methode daraus entwickelt: Tanzkörpertraining. Da sind immer Rücken-relevante Bewegungsfolgen mit drin, aber natürlich kann man auch andere Schwerpunkte setzen (im Einzelcoaching sowieso).

Gerade erarbeite ich einen betreuten Onlinekurs, der mein gesammeltes Rücken-Wissen enthält und wo jeder Teilnehmer in seinem Tempo und mit einem alltagstauglichen Zeitbudget an seinen speziellen Rückenproblemen arbeiten kann. Den Kurs kann man ab April 2018 via Crowdfunding unterstützen und im Herbst geht es dann los, worauf ich mich schon sehr freue!

Marita Matzk, Yoga-Coach, Tänzerin und Choreografin, März 2018, Foto: Sebastian Lachnitt


Wie gestaltet sich Dein Alltag zwischen Familie/Kindern/Partnerschaft, Yoga-Studio und Selbständigkeit ?

Ich habe ja mittlerweile zwei Kinder und ein Bauchbaby, das im Sommer auf die Welt kommen wird. Seit der Geburt meines zweiten Kindes mache ich keine Tanz-Projekte mehr, sondern fokussiere mich vorerst ausschließlich auf Yoga und Körperarbeit.

Glücklicherweise habe ich ein eigenes kleines Studio im Hinterhaus unseres Wohnhauses, das ist wirklich ein Geschenk! Vorher bin ich oft zu unterschiedlichen Kursen durch die ganze Stadt gefahren, habe zwischenzeitlich ein jetzt größeres Yogastudio mit gegründet und bin nach zwei Jahren dort ausgestiegen, weil die Orga-Arbeit neben meinen tänzerisch-choreografischen Projekten einfach nicht zu stemmen war. Da ist jetzt alles wesentlich überschaubarer: Ich unterrichte 4 feste Kurse pro Woche in meinem Studio, habe Einzelcoaching-Klienten, organisiere zweimal im Jahr ein Retreat auf der Insel Hiddensee und habe darüberhinaus noch Zeit, jede Woche ein Yogavideo bei youtube zu veröffentlichen und einen Blog zu betreiben.

Das Schreiben macht mir unglaublich viel Spaß und hat mir gezeigt, dass ich sehr gern mein Wissen verständlich aufbereite. Deshalb (und weil ich für meine Kurse Schwangerschafts-Vertretungen brauche ;) ) biete ich im April auch erstmalig ein Weiterbildungs-Wochenende an. Da zeige ich Trainern und allen, die mit Klienten arbeiten, wie man kleine oder größere Yoga-Einheiten strukturieren kann, was man beim Anleiten sagen – und was man lieber nicht sagen sollte, so dass die Teilnehmer ins freie und geschmeidige Bewegen kommen.


Was kannst Du an persönlichen Credos und persönlichen Tipps und Erkenntnissen den Lesern mitgeben, für ihre Yoga- und Lebenspraxis?

Hui, da gibt es so viele kluge Sachen…. – hier ein paar für mich ganz wichtige Credos oder „Mantras“:

  1. Finde das Räkel-Gefühl in allem, was du tust!
  2. Man kann mit weniger Aufwand oft mehr erreichen.
  3. Es kommt nicht auf das Endergebnis an, sondern auf den Weg dorthin!
  4. Schau, ob du noch tief atmest, lass überflüssige Spannung los und lass dich „bewegt werden“!
  5. Der Bauch ist klüger als der Kopf.
  6. Mini-Schritte in die richtige Richtung ergeben die Reise.
  7. Spiel mit der Situation/Haltung
Das heißt, »die Yoga-Pose« ist weniger wichtig als die Frage, wie geschmeidig du dich auf dem Weg in die Yogahaltung bewegt hast. ...

Lass mich zu einzelnen Punkten noch mehr in die Tiefe gehen:
Es kommt nicht auf das Endergebnis an, sondern auf den Weg dorthin!
Das heißt, »die Yoga-Pose« ist weniger wichtig als die Frage, wie geschmeidig du dich auf dem Weg in die Yogahaltung bewegt hast. „Das Zeugnis“ ist weniger wichtig als die Frage, wie du deine Zeit in der Vorbereitung aufs Examen verbracht hast, und ob du dabei glücklich und „im Fluss“ warst. Obendrein ist die Wahrscheinlichkeit, dass Pose und Zeugnis super werden, viel höher, wenn wir uns jeden Moment auf eine stimmige Bewegung konzentrieren.

Damit sind wir bei dem Prinzip »Man kann mit weniger Aufwand mehr erreichen« Aus einem zu angespannten Modus entsteht selten etwas wirklich gutes oder nachhaltig machbares. Einer meiner Lehrer, Michael Taylor (Mitbegründer des undogmatischen Yogastils »Strala Yoga«), sagt dazu »It usually doesn´t get much better if you start from ,Oh, crap!’«

Ob unser Leben glücklich oder unglücklich ist, wird damit zusammenhängen, ob wir einen großen Teil der Zeit die Dinge tun, die wir lieben und mit Menschen an Orten sind, die wir lieben. ...

Ob unser Leben glücklich oder unglücklich ist, wird damit zusammenhängen, ob wir einen großen Teil der Zeit die Dinge tun die wir lieben und mit Menschen an Orten sind, die wir lieben. Wir sollte also auf der Yogamatte nicht üben, Dinge zu tun, die sich schlecht anfühlen (da steigt auch die Verletzungsgefahr). Sondern lieber üben, den Bereich wirklich auszunutzen und zu erforschen, der an Bewegungsspielraum auch in der »engsten« Situation da ist oder durch kleine Veränderungen geschaffen werden kann.

Damit kommen wir zu den Sachen, die ich meinen Kursteilnehmern gerne in der Stunde sage:

Finde das Räkel-Gefühl in allem, was du tust!/ Schau, ob du noch tief atmest/ Lass überflüssige Spannung los und lass dich »bewegt werden«!

Für mich ist Yoga immer verknüpft mit dem Leben: Alles, was wir wiederholt tun, formt ja unser Gehirn und bestimmt, welche »Datenautobahnen« da ausgebaut und welche Glaubenssätze verstärkt werden. Auf der Matte möchte ich daher nichts üben – oder üben lassen – was behindernde Glaubenssätze verstärkt. Behindernde Glaubenssätze, mit denen wir üblicherweise aufwachsen, sind z.B. »No Pain, no Gain« oder »Du musst dich nur mehr anstrengen«.

Diese Herangehensweise führt im Yoga aber oft zu Verletzungen. Und ist verantwortlich für den schlechten Ruf, den Yoga z.T. hat. Zum Beispiel gab es vor einigen Jahren einen viral gehenden Artikel: »Wie Yoga deinen Körper ruiniert« ( im Original »How Yoga can wreck your body«). Dabei sind es nicht die Übungen an sich, sondern der Umgang mit sich selbst, der das Problem bringt: Wenn ich mein Unwohlsein nicht ernst nehme, Schmerzen in den Gelenken ignoriere und das alles weniger wichtig finde als das Ideal, das ich anstrebe – dann werde ich mir Schaden zufügen. Beim Training Schaden am Körper, im Leben Schaden an der Seele. Die Hinweise auf das Räkel-Gefühl, auf den tiefen Atem, auf das Spielen-Können in der Situation – das lässt einen wieder bei sich selbst ankommen, die eigenen Bedürfnisse und Spielräume wahrnehmen.

Der Bauch ist klüger als der Kopf.

Da ist eigentlich selbsterklärend. Unser Unterbewusstsein verarbeitet ja ca. 96% aller Eindrücke, während nur 4% an die Oberfläche des Bewusstseins dringen. Daher bin ich ein großer Freund davon, auf das Bauchgefühl zu hören. Besonders, weil ich früher so ziemlich der kopflastigste Mensch war, den ich bisher kennengelernt habe.

Mini-Schritte in die richtige Richtung ergeben die Reise.

Damit meine ich sogenannte »gute« Gewohnheiten – wie täglich Yoga zu machen. Gewohnheiten aufzubauen, fällt viel leichter, wenn man sich kleine, ganz leicht umsetzbare Schritte vornimmt – wie eine einzige Übung oder drei Minuten Yoga. Lieber Mini-Schritte konsequent umsetzen, als mit alltagsuntauglichen stundenlangen Übungsprogrammen über kurz oder lang wieder aufzugeben!


Welche Routinen hast Du in Deinen Alltag integriert? – Wie hältst Du Duch täglich körperlich und geistig flexibel?

Ich starte jeden Morgen mit 3 Minuten für mich. Nö, eben nicht 30 Minuten. Drei. Manchmal sind es auch 5 ;-). Ich wache auf, horche kurz, wie mein Körper atmet, und mache dann die Räklungen, die er gerade braucht, dabei atme ich lang und tief weiter.
Manchmal rolle ich in sanfte Twisthaltungen, um Rückenverspannungen zu lösen, oft dehne ich mich im Sitzen mal nach rechts, nach links, in Twists und eine Schulter-Lockerung, wenn ich mich sehr verpeilt fühle, mache ich eine kurze Wechselatmung zum Zentrieren – und dann bleibe ich noch 5 tiefe Atem Züge sitzen und lausche wieder, wie mein Körper für sich sorgt. Das ist super!
So einfach und trotzdem macht es den Unterschied, ob ich mich fühle, als müsste ich jetzt wieder von Terminen bestimmt durch den Tag hetzen, oder als ob ich auch an »stressigen« Tagen bei mir bin, für mich sorge und Dinge tue, die mir guttun. Auf meiner Homepage kann man sich übrigens kostenlos ein Mini-eBook mit solchen 5-Minuten-im-Bett-Programmen runterladen. Und ein YouTube-Video zur Wechselatmung habe ich auch gemacht:

Mittlerweile bin ich auch im Alltag wieder gut in meinem Körper angekommen: Ich nehme beim Treppen-Hochsteigen mein Becken und den Beckenboden wahr, schaue beim Zähneputzen, wie meine Zehen am Boden liegen und wo auf den Fußsohlen mein Gewicht ist, und beim Fahrradfahren verändere ich immer mal die Ausrichtung von Becken und Wirbelsäule… das hilft ;-).

Außerdem mache ich an Tagen, an denen ich nicht unterrichte, ein Yogaprogramm für mich auf der Matte im Wohnzimmer – und auch wenn ich an dem Tag Yoga unterrichte, nochmal was kurzes zwischendurch. Die Yogamatte liegt eigentlich immer da und lädt ein zum Handstand-Üben an der Tür, oder zum kurz Durchräkeln nach einer längeren Schreib-Session… sehr empfehlenswert, wenn man den Platz hat!

Geistig flexibel halte ich mich eigentlich nicht bewusst – da denke ich manchmal, ein bisschen mehr bodenständiges Schwarzweißdenken würde mir auch nicht schaden. Nein, im Ernst: Ich habe mir beispielsweise das Romane-Lesen jenseits der Ferien abgewöhnt, weil ich sonst wie ein Schwamm jede Geschichte und jede neue Ansicht aufsauge, die Nächte durchlese und nach ein paar Tagen wie ein Zombie durch den Alltag wanke. Und es kann auch im Alltag anstrengend sein, sich ständig flexibel in unterschiedlichste Sichtweisen reinzuversetzen.
Vermutlich bin ich daher auch der »eher introvertierte« Typ und brauche immer viel Zeit zum Allein-Sein, Allein-Arbeiten etc., um meine Akkus auf guter Füllung zu halten. Das heißt nicht, dass ich anregende Gespräche und andere Menschen nicht leiden kann, im Gegenteil! Aber jeden Tag, den ganzen Tag, ist mir das schnell zu viel.


Marita Matzk und Thomas Hönel auf der Hiddensee-Fähre, März 2018, Foto: Sebastian Lachnitt


Wie lässt Du los? Wie denkst Du über Aussagen wie »Lass doch einfach los« – wie »einfach« ist loslassen?

Da fallen mir zwei Sprüche ein:
1. »Lass los und du hast beide Hände frei.“
2. »Ich würde ja loslassen, aber woran halte ich mich dann fest?« (ein Buchtitel von Ina Rudolph)

Beides stimmt und kam mir früher oft in der Reihenfolge in den Sinn, wenn ich mal wieder eine Aufforderung zum »einfach Loslassen« gelesen habe: Ich wollte gern loslassen und »beide Hände frei haben« – auch wenn ich mir gar nicht genau vorstellen konnte, wie sich das anfühlt. Trotzdem war da so eine Sehnsucht nach einem irgendwie gelösteren, entspannteren Leben. Und dann »Ich kann aber nicht Loslassen – wie soll das gehen?« Ich habe tatsächlich immer so ein Sehnsuchtsziehen gespürt, wenn ich an Bahnhöfen vorbeikam – den Wunsch, einfach irgendwohin einzusteigen und ganz weit weg zu fahren, abzuhauen. Wie das Klischee vom Ehemann, der »Zigaretten holen geht«. Weil mir das als die einzige Möglichkeit vorkam, loszulassen.

Im Alltag, quasi ohne den Bahnhofs-Impuls, habe ich dagegen die meiste Zeit gar nicht gemerkt, wie viel ich so mit mir rumschleppe! (an Anspannung, innerer Zerrissenheit, Verantwortungsgefühl für Dinge, die ich nicht beeinflussen kann…). Dann ist Loslassen besonders schwer, bzw. fast unmöglich. Ich denke, dass das auch gesellschaftlich relevant ist: Viele Burnouts und depressive Verstimmungen wären sicher vermeidbar, wenn wir früher lernen würden, unsere Unstimmigkeiten und Überforderungen im Alltag wahrzunehmen. Und dann Tools zu haben, mit denen wir gegensteuern können.Deshalb sind mir die Mini-Yogaeinheiten für den Alltag so wichtig: Als kleiner Reset zwischendurch. Viele kleine Resets bewirken am Ende wirklich ein Loslassen überflüssiger Spannung. Im Gegensatz zum »einfach Abhauen«.

Was ich mittlerweile bei fast jedem Thema merke: Die meisten ziehen sich durch verschiedenste Lebensbereiche. Wenn ich emotional Probleme mit dem »Loslassen« habe, kann ich auch schauen, wie sich das mit den Dingen verhält, die mich umgeben – macht es vielleicht Sinn, da mal auszumisten? (Es gibt dafür einen herrlichen Ansatz von Marie Kondo, der ganz auf unserer emotionalen Verbindung zu Dingen basiert: »Magic cleaning«. Das Buch finde ich super!)

Und dann macht es eben auch immer Sinn, auf der körperlichen Ebene zu gucken: Was halte ich da fest? Das ist die Ebene, die ich zu meinem Job gemacht habe, weil da bei mir selbst so viel passiert ist: Ich habe von meinen Rückenverspannungen erzählt, die ja nicht selten auch eine psychologische Komponente in sich tragen. Bei Psycho-Stress gibt das Hirn ständig Impulse an die Muskulatur, etwas gegen die vermeintliche Bedrohung zu tun (sich mit Klauen und Zähnen wehren, wegrennen, sich ducken…). Und stattdessen… bleiben wir brav sozialisiert auf unserem Stuhl sitzen und lächeln.
Kein Wunder, dass die muskuläre Grundspannung unter dem Bombardement unausgeführter Impulse ansteigt und wir nachts mit den Zähnen knirschen, unsere Fingergelenke knacken, rauchen, und uns wundern, dass wir nicht zur Ruhe kommen, obwohl wir total müde sind! Solche Spannung loszulassen, ist nicht immer leicht.

–  weil wir entweder gar nicht merken, dass da Spannung sein könnte
– oder weil wir unterbewusst merken, dass da MÖGLICHERWEISE eine Emotion mit der Spannung verknüpft ist, die wir gewöhnlich als inakzeptabel unterdrücken… und dass diese Emotion beim Lösen der Verspannung hochkommen könnte.

Trotzdem finde ich einen körperlichen Ansatz zum »Loslassen« persönlich leichter zugänglich als den Versuch, rein vom Kopf her loszulassen. Es mag Leute geben, für die auch der andere Weg funktioniert. Aber oft beobachte ich auch, dass es nicht geht: Jemand fasst vom Verstand oder von einem spirituellen Idealbild ausgehend das Vorhaben, eine Emotion oder eine »Über-Reaktion« loszulassen. Und scheitert dann grandios. Oder – noch schlimmer – das angestrebte Ideal wird zur scheinheiligen »Maske«, worunter man das interne Brodeln noch erahnen kann… Den Körper dagegen kann man nicht austricksen, der zeigt mit seinen Spannungsmustern immer, woran man ist ;-).

Mir selbst hat wie oben beschrieben die Feldenkrais Methode sehr geholfen, auch durch ihren nicht-wertenden Ansatz. Am Ende muss sich jeder fragen: WAS will ich eigentlich loslassen? Was behindert mich, welche Muster finden sich immer wieder? Das kann für jeden etwas anderes sein. Bei mir sind es oft zu hoch gesteckte Ziele und Erwartungen an mich selbst, die Anspannung erzeugen und mich letztendlich unproduktiver machen, weil ich im »Überforderungs«-Modus z.B. krank werde oder Prioritäten nicht mehr so gut setzen kann.
Wenn Perfektionismus zu der Anspannung führt, die ich loslassen will, helfen mir manchmal so lapidare Sprüche wie »Es ist, wie es ist«, »Is mir egal, ich lass das jetzt so« oder »Wenn dir dein Produkt nicht peinlich ist, dann warst du zu langsam«. Abschließend könnte ich vielleicht sagen: Loslassen müssen Kopf und Körper immer zusammen. Nur eins von beiden zu beachten, funktioniert selten. Und: Loslassen braucht eine Umgebung, die Fehler als Lernmöglichkeiten zulässt und wertfrei ist. Wie Feldenkrais Lehrer oft sagen: »Es gibt kein richtig und kein Falsch«.


»Finde das Räkel-Gefühl in allem was du tust.« ...

Wann kommt du in Flow und wie spürst du das?

Beim Yoga! Beim Schreiben! Beim Videos drehen! Beim Buddeln im Garten und beim Spazieren in der Natur. Tolle Flow-Erlebnisse habe ich auch beim Schwimmen in Seen oder im Meer, beim Singen und beim Zeichnen – was ich alles unregelmäßig mal mehr, mal weniger mache.  Wie ich das spüre? Kannst du gut bei Csikszentmihalyi nachlesen – ich glaube es ist ziemlich exakt dieses von ihm beschriebene »Zeit vergessen – nicht nachdenken – völlig in der Tätigkeit aufgehen«. Ich finde es allerdings hilfreicher, zu merken, wann ich NICHT im Flow bin – weil ich dann weiß, dass ich vielleicht mit ein paar kleinen Twists und Änderungen meine Zeit sinnvoller verbringen kann: Wenn ich NICHT im Flow bin, fange ich oft unbewusst an, Gespräche mit imaginären Gesprächspartnern zu führen.

Wenn das zu einem interessanten Thema passiert, kann ich dann lieber anfangen, dazu was zu schreiben, darüber in Flow zu kommen und noch ggf. Output zu liefern, der auch für andere interessant ist. Wenn das nicht zu einem interessanten Thema passiert, kann ich schauen, ob ich z.B. das Tempo erhöhen kann bei dem, was ich tue (z.B. beim Geschirr aufräumen oder Wäsche zusammenlegen), so dass die eigentliche Tätigkeit wieder herausfordernder und Flow wahrscheinlicher wird.  Wenn ich NICHT im Flow bin, ist meine Atmung zudem oft flach und kurz – immer mal darauf zu achten, ob der Atem noch lang und tief fließt, ist daher oft ein guter erster Schritt in Richtung Flow.


Marita, ich danke Dir für das umfangreiche Interview und dank an Sebastian Lachnitt für das unterhaltsame Fotoshooting auf der Hiddensee-Fähre. Thomas


Marita Matzk ist Expertin für schöne, geschmeidige Bewegung. Sie erstellt effektive, individuelle Yoga-Trainingseinheiten und Übungsvideos – für dich, oder für deine Klienten und Patienten.